Ganz zufällig konnte ich Herrn G. Schreuer begegnen, der das kleine Gebäude auf der Ostseite, am Fuße des Kastells bewohnt. Er zeigte mit das Innere des Schlosses und gab mir viele interessante Erklärungen, sowie die Geschichte aus der Sicht einer Nonne, die dort im Krieg lebte.
(Quelle : die Chronik der Schwestern vom armen Kinde Jesu)
Im August 1943, entschloss sich unsere Mutter Provinzialin, das Mutterhaus der 'Gemeinschaft des armen Kinde Jesu (1) nach Moresnet zu verlegen, wo ihr ein Familienbesitz, die "Eulenburg" angeboten wurde. Sie lag sehr idyllisch auf eine Hügel, ganz einsam am Rande eines Wäldchens, aber sie war in schlechtem Zustand, und in den letzten 20 Jahren kaum einmal bewohnt, dafür aber von Dohlen, Fledermäusen, Spinnen, Motten und Mäusen unerträglich bevölkert. Die seltsamsten Tierköpfe, in unaufhörlicher Mauser begriffen, bekleideten Treppenaufgänge und Zimmer. Die Möbel waren vom Holzwurm zerfressen, und es gehörte schon sehr viel Mut dazu, dieses "Schloss David", so genannt nach seinem Besitzer, wieder in Ordnung zu bringen.
Am 17. August 1943 trafen die ersten vier Schwestern ein. Es kamen aber bald immer mehr hinzu und diese Aufräumungs- und Instandsetzungsarbeiten dauerten bis Anfang November. Die Arbeiten der Handwerker wollten nicht enden, denn Licht und sanitäre Anlagen waren sehr primitiv und die Regelung der Licht- und Wasser-Zufuhr, der Kanalisierung verursachten große Arbeit und hohe Kosten.
Am 5. November 1943 wurde die erste heilige Messe gefeiert, zu der Mutter Provinzialin alle Mütter der Provinz eingeladen hatte (deutschsprachige). Zu aller Freude war auch Mutter Alexia erschienen. Herr Pastor Licht hielt eine feine entsprechende Ansprache.
Am folgenden Tage trafen dann die alten Schwestern von Gemmenich ein, die unter feierlichem Geläute der Schlossglocke im Wintergarten empfangen wurden.
Von Anfang Dezember 1943 bis August 1944 hatte die Eulenburg auch eine kleine Durchgangsstation von 10 Kindern aus dem Kinderheim Forges-Baelen.
Am 2. Februar 1944, dem goldenen Jubiläum unserer Genossenschaft, weilte der Hochwürdigste Herr Bischof van der Velden aus Aachen als Gast auf der Eulenburg. Der Wintergarten war zum Festraum gestaltet. Mutter Claras Bild war sehr würdig geschmückt, im Refektorium prangte ein großes Transparent am Fenster : "Jesus soll die Freude der Schwestern sein". Der Hochwürdigste Herr hielt den Festgottesdienst und die Festpredigt.
Am 4. Februar starb Schwester Maria Marca als erste auf der Eulenburg. Sie erlag nach langem Leiden einer ihrer vielen Gehirnschläge und wurde auf dem Moresneter Friedhof bestattet.
In der Nacht vom 11. zum 12. April erlebten die Eulenburger grossen Schrecken bei einem Angriff auf Aachen der die ganze Burg erschütterte. Grösser war noch die Not beim Grossangriff auf Montzen (am 28. April 1944), der nächstgelegen Station. Die Schwestern lagen lange im Keller auf den Kien und glaubten nicht, die Nacht zu überleben.
Die Eulenburg nahm im Laufe des Sommers manche Erholungsschwester auf. Die Natur war so nah, welch schöne Spaziergänge machten wir durch das Waldgelände, und welch frohe Singabende veranstalteten wir an Sommer-Abenden unter den hängenden Buchen.
Am 7. September 1944 begann für uns meisten Eulenburger eine kritische Zeit. Wohl waren die meisten Deutschen schon durchgefahren in Autos, Zügen oder Pferdegespannen. Mehrere Tage lag eine SS-Gruppe in unserem Park mit Kanonen und Autos. Donnerstag, den 7. September zogen sie ab. Gegen 6 Uhr morgens standen in Moresnet Bahnhof die zwei letzten Züge, die nach Deutschland fahren sollten. Die Amerikaner waren nur noch 25 km von uns entfernt.
Am selben Tage ordnete Mutter Provinzialin an, dass die älteren Schwestern, Lebensvorräte und anderes in den grossen Steinbruch in unserm Park gebracht werden sollten.
Einzeln wurden die alten Schwestern auf ein Wägelchen geladen, umgeben von Gepäck und den nötigen Decken und dann von vier "Schwesternpferdchen" durch die von Soldaten und Autos aufgewühlten Waldwege zum "Bunker" gezogen. Scharenweise strömten auch die Leute mit ihren Kindern und unentbehrlichen Habseligkeiten dorthin, ca. 1500 waren es. Abends gingen dann auch die lieben Mütter und noch viele Schwestern der Eulenburg zum Bunker schlafen.
Dort hatten sich schon Wochen vorher die Familien aus den umliegenden Dörfern, so auch wir eine 'Wohnung' gebaut. Jeder in einer anderen Ecke, mit Stroh-Ballen und Bretterverschlägen oder Deckenwänden, manche sogar mit abschließbaren Türen. So hatten auch wir einige Felsenhöhlen zu einem Gemeinschaftsraum für uns abgetrennt mit Strohwänden. 16 Luftschutzbetten, meist zwei übereinander, hatten darin Platz gefunden.
Die übrigen 24 fehlenden Betten wurden durch Strohlager und Liegestühle ersetzt. Inmitten unserer Felsenhöhle stand ein kleines, weiß gedecktes Notaltärchen, auf dem der liebe Heiland immer im Ziborium ausgesetzt stand und vor dem ein ewiges Licht brannte, das mit seinem milden Schein die Finsternis unseres Zufluchtsraumes durchbrach. Über uns war ein wuchtiges Felsengewölbe von mehr als 20 Metern Dicke, darüber ein schützender Wald. Alle Insassen fühlten sich bombensicher, obwohl das Schiefergestein nach der Gefahren-Zeit stellenweise in schweren Felsblöcken herabfiel, wie wir nachher feststellen konnten, der Zufluchtsort war nicht so sicher wie angenommen.
Das ganze Bild des Zusammenlebens war recht malerisch. Alle Leute brachten Lampen mit und wandelten damit durch das Labyrinth der großen Höhle. In allen Winkeln wohnten oder hausten die Leute. Draußen an den Bäumen trocknete Kinder-wäsche, und auf einigen Steinen kochten die Flüchtlinge ihr Essen. Alle aber waren ruhig und gefasst.
Am Samstag, den 9. September erhielt H.H. Pfarrer Licht die Erlaubnis, im Bunker Beichte zu hören und die nächste Sonntagsmesse zu feiern. Die Not und Gefahr, in der wir standen, führten ihm viele Bußfertige zu. Inzwischen wurde in der oberen Höhle, die ziemlich eben war, von einigen Männern ein provisorischer Altar gebaut und mit frischem Laub und Blumen geziert. Die letzten Vorbereitungen für das heilige Opfer besorgten dann am nächsten Morgen unsere Schwestern.
Am 11. September 1944, morgens während der Betrachtung war die Sprengung der Hergenrather Brücke. Zahlreiche deutsche Panzer rasten nach Montzen hin. Während des ganzen Vormittags wurden die deutschen Transporte von amerikanischen Flugzeugen beschossen. Am Abend war die Sprengung der kleinen Brücke über die Gueule. Dadurch wurden die Wasserrohre zerstört und wir blieben monatelang ohne Wasser.
In der Nacht war ziemlich viel Artillerietätigkeit, sodass wir uns nur zögernd entschlossen, den Bunker zu verlassen. Sofort nach der heiligen Messe flogen amerikanische Aufklärer über uns her, und die Kanonen erdröhnten wieder, sodass wir vom Frühstück in den Keller flüchteten. Immer engere Kreise zogen die Flieger, und bald verkündeten die Leute, die Amerikaner seien unter Glockengeläut in Montzen eingezogen, als Befreier begrüßt und näherten sich auf der Lütticherstraße.
Gegen 10 Uhr wurden wir durch zwei furchtbare Sprengungen erschreckt. Ein großer Teil der Eisenbahnbrücke flog unter schrecklichem Getöse in die Luft. Am frühen Morgen war sie von einem deutschen Sprengkommando nochmals miniert worden. Der Mittagstisch wurde im Keller eingenommen, weil kurz vorher die ersten Artillerie-Einheit von Aachen gemeldet wurden. Deutlich konnten wir auch die Einschläge der amerikanischen Geschosse in den uns gegenüber liegenden Wald beobachten.
Gegen 3 Uhr erschienen die ersten amerikanischen Offiziere auf der Eulenburg, um zu sehen, wer sie bewohnte. Mehr wollten sie nicht. Um 5 Uhr starke Detonation von der Sprengung der Brücke in Buschhausen. Gegen 6 Uhr hielten wir in unserem Bunker gemeinsam Segensandacht; denn es waren fast alle Schwestern dorthin geflüchtet. Auch die Leute beteten gemeinsam mit einer Schwester den Rosenkranz. Zum ersten Male beteten wir das Abendgebet im Bunker.
In der folgenden Nacht war sehr stark das Dröhnen der schweren Artillerie zu hören ; zuweilen hörte es sich an wie das Einschlagen schwerer Sprengbomben. Am anderen Morgen feierten wir in unserem Teil des Bunkers die heilige Messe. An diesem Tag fuhren viele amerikanische Panzer und Autos durch Moresnet. Mehrere Autos und Kanonen stellten sich in unserem Park unter die Bäume. Deutsch Tiefflieger schossen stark mit Bordwaffen. Darauf musste man nun fast immer gefasst sein.
Wenn wir mittags zu mehreren das Essen zum Bunker brachten von der Burg aus, war es wirklich manchmal lebensgefährlich. 5 bis 8 Minuten war der Weg lang, aber meistens geschah es, dass gerade dann ganz unerwartet mit einem schrillen Geheul die deutschen Flieger sich herunterliessen und in den Wald schossen. Mehr als einmal sind wir mit Eimern und Kannen in der Hand hinter einen Baum gesprungen und haben uns fest an den Stamm gedrückt, um Deckung zu suchen !
Einige unserer Schwestern hatten sich der vielen Bunkerkinder angenommen und hielten mit ihnen Spiel- und Märchenstunden und gaben ihnen Religionsunterricht. Die Eltern waren sehr dankbar dafür. Die Leute fassten großes Zutrauen zu den Schwestern und kamen mit leiblichen und seelischen Nöten. Überall durften wir helfen.
Mittlerweile waren wir nun richtig zwischen zwei Fronten geraten. Rund um unsere Burg hatte sich schwere Artillerie der Amerikaner aufgestellt, die nun unaufhörlich ihre totbringenden Geschosse au Aachen richtete. Bei jedem Abschuss bebte die ganze Burg und alle Scheiben klirrten, die Möbel rappelten, es war ganz furchtbar. Aber das Schwerste und Schmerzlichste für uns dabei war das Wissen, dass alle diese Granaten auf unsere arme, geliebte deutsche Heimat gerichtet waren.
An einem der nächsten Tage, als mal ein ruhiges Stündchen war, begaben sich mehrere Schwestern zum Bunker, um die lieben alten Schwestern, die auf Anraten eines amerikanischen Offiziers noch im schützenden Bunker verbleiben sollten, einmal an das Tageslicht zu kommen. Acht Tage hatten sie schon in der Dunkelheit verbracht, und es war ihnen eine ganz große Freude, einmal Luft zu schöpfen und Tageslicht zu sehen. Nach einer halben Stunde begaben sie sich still zufrieden wieder in die Finsternis des Steinbruches zurück.
Am Abend setzte ein fürchterliches Artilleriefeuer ein, so wie wir es noch nicht gehört hatten. Ununterbrochen rollten die schweren Geschosse durch die Luft. Man hörte die Luftsäulen aneinander klatschen, die Erde zitterte, das ganze Haus ächzte. Eine Stunde lang dauerte es an. Dann aber blieb die Nacht verhältnismäßig ruhig, sodass mehrere Schwestern sich entschlossen, endgültig den Bunker zu verlassen. Aber in der folgenden Nacht erlebten sie Todesnöte. Um 12 Uhr fuhr ein furchtbares, schrilles Zischen am Haus vorbei und endete in einem schweren Knall. In kurzen Zwischenräumen wiederholte sich dieses schreckliche Sausen und Krachen. Die Schwestern sahen vom Fenster aus die feurigen Artilleriegeschosse ganz nahe vorbei sausen.
Der Himmel war in blau-grünes Licht getaucht, und hoch in den Wolken stand unbeweglich ein dreizackiges Lichtzeichen beinahe über der Burg. Es war die deutsche Artillerie, die nun auf uns zielte. Wir stürzten in den Keller und beteten. H.H. Pfarrer Licht erteilte uns die Generalabsolution. Nach kurzer Pause setzte zwischen 2 und 3 Uhr das gleiche Höllenspiel ein, es dauerte bis nach 5 Uhr. Manche Einschläge waren ganz in unserer Nähe, aus der Waschküche hatten Splitter Stücke gerissen. Gott hat uns wunderbar beschützt.
Am Sonntagmorgen, schon sehr zeitig, drängten sich die Leute heran in großen Mengen. Es war ein ergreifendes Bild und erinnerte an das Katakombenchristentum. Männer, Frauen, Mütter mit ihren Kleinen auf dem Arm und Greise verfolgten in ernster Ergriffenheit die heilige Handlung. Das drängen zur Kommunionbank schien kein Ende zu nehmen. Der Schwesternchor sang abwechselnd mit der Gemeinde. H.H. Herr Pastor Licht hielt eine ergreifende Predigt und verglich unsere Höhle mit dem Stall von Bethlehem. In der Menge hörte man Schluchzen, und niemand schämte sich, die herablaufenden Tränen zu zeigen. Von denen, die zum Tisch des Herrn gingen, waren viele, die jahrelang nicht mehr zur Kirche gegangen waren. Nach der heiligen Messe verlangten noch viele zu beichten. Eine Frau sagte, dieser Tag sei der schönste in ihrem Leben gewesen.
Der ganze Tag war ziemlich unruhig. Immer wieder Tiefflieger !
Als wir gerade beim Mittagstisch saßen sahen wir plötzlich einen Tiefflieger über die imposante 1500 Meter lange Eisenbahnbrücke, die gerade vor unserer Burg lag, fliegen. Wenige Sekunden später ertönte ein furchtbarer Knall. Eine hohe schwarze Wolke erhob sich, und nun erkannten wir, dass die Verbindung zwischen den beiden letzten Pfeilern wie ein Streichholz geknickt, am Boden lag. So Zerstörte Menschengeist in einem Augenblick, was Menschengeist in langer, mühsamen Arbeit geschafft hatte.
Am anderen Tag erfuhren wir, wie nahe wir am 12. September 1944 dem Verderben waren. Amerikaner, die wussten, dass 3 Tage vorher noch die SS Truppe in unserem Park gelegen hatte, und die sie auch dort noch vermuteten, hatten ihre Kanonen schon schussbereit auf uns gerichtet. Belgier, die den Abzug der Deutschen beobachtet hatten, waren unsere Retter.
Am 16. September 1944 zog zum Glück die amerikanische Artillerie von uns weg. Aber tagsüber war doch wieder schwerer Artilleriebeschuss. Amerikanische schwere Bomber überflogen uns. Plötzlich währen des Abendgottesdienstes wurde die Lage sehr Ernst für uns.
Sechs deutsche Jäger waren mit 20 amerikanischen Bombern im heftigen Luftkampf. Ein furchtbarer Knall lies unser Haus erbeben und einer der Jäger stürzte brennend auf einer Nachbarwiese ab. Die Insassen, die mit dem Fallschirm abgesprungen waren, wurden gefangen genommen. Jenseits der Brücke sauste ein zweites Flugzeug brennend in die Tiefe.
Abends gingen die meisten Schwestern und viele Leute in den Steinbruch schlafen. Am anderen Morgen hörten wir ununterbrochen ein donnerartiges Getöse. Es war Trommelfeuer auf dem Westwall. Ganze Flugzeuggeschwader kreisten beständig über uns. Mächtige Rauchwolken stiegen über Aachen auf. Waren es Sprengungen, Brände, Bombeneinschläge ? Immer wieder fragten wir uns so. Bis zum Abend ging es so fort.
Weil Aachen sich so standhaft verteidigte, wurde der Kampf immer heftiger. Einige Tage lang wiederholte sich das furchtbare Geschehen immer wieder. Unsere lieben, alten Schwestern mussten immer noch im finsteren Steinbruch aushalten, weil die Gefahr noch zu groß war.
In der Nacht vom 19. zum 20. September 1944, war nochmals Artilleriebeschuss und zahlreiche deutsch Flieger bedrohten uns. In Altenberg fielen sogar Bomben und vereinzelter Kanonendonner hörte sich ziemlich weit an. Wir hofften, dass wir nicht mehr auf dem Schlachtfeld wohnten. Am 21. September 1944 endlich durften auch unsere lieben alten Schwestern aus dem Bunker erlöst werden. Wie glücklich waren sie ! Wieder wurden sie auf kleinen Wägelchen einzeln heimge-fahren.
Am Abend erblickten wir beim Einbruch der Dunkelheit über Aachen eine blutigrote Feuersäule, die erst spät in der Nacht allmählich erlöschte. Wiederum wurde die Sorge um unsere Aachener Schwestern groß. Am 24. September hatten wir den ganzen Tag Aussetzung in unserer kleinen Schlosskapelle zum Dank für den wunderbaren Schutz in den gefahrvollen verflossenen Wochen. Am Abend sahen wir wieder über dem Schneeberg die brennende Glut eines mächtigen Feuers. Weiter links, über Holland dasselbe Bild und später in der Nacht auch südöstlich von Aachen. Das unaufhörlich dumpfe Motorengesurr der vielen, vielen Bomber-Staffeln, die nach Deutschland einflogen, ließen uns nicht im Zweifel über diese Feuererscheinung. Wie haben wir gebangt und gesorgt und gebetet für alle Lieben in der Heimat.
In den nächsten Tagen vernahmen wir immer wieder das furchtbare Donnern der schweren Detonationen. Wir nahmen an, dass es Granaten jener Riesenkanonen waren, die drei Tage vorher durch Moresnet rasten.
In den nächsten Wochen wurden wir immer wieder von unabsehbaren Mengen amerikanischer Bomber überflogen. Einmal sahen wir sie in Richtung Köln tiefer fliegen. Ob es wohl ein Angriff auf Köln war ?
Wir waren ja wohl in jenen Tagen nicht mehr so in Gefahr, aber unsere Sorge um unsere armen bedrängten Lieben war unsagbar gross, zumal wir alles so gut beobachten konnten und die meisten amerikanischen Bomber über unsere Gegend flogen. Wie viel und innig haben wir für alle gebetet!
Am 4. Oktober 1944, dem Fest des heiligen Franz von Assisi, brachte uns eine kleine Überraschung. Im Spätnachmittage hielt vor unserem Torbogen ein amerikanisches Lastauto mit 12 Franziskanerinnen von Steinebrück bei Aachen. Die Amerikaner hatten sie aus ihrem Keller geholt, in dem sie sich beim schwersten Artilleriebeschuss aufgehalten hatten. In einer Viertelstunde hatten sie marschbereit sein müssen : sie hatten alles im Stich lassen müssen - Haus, Garten, Vieh, sogar eine frisch geschlachtete Kuh. Wir nahmen die Schwestern mit Freuden auf und rückten alle etwas enger zusammen. War es nicht eine liebe Fügung, dass die Töchter der Mutter Schervier bei den Töchtern der Mutter Clara Zuflucht fanden ?
Der Kampf um Aachen wurde wieder heftiger. Die Stadt wollte sich nicht ergeben.
Nachdem die Stadt das Ultimatum der Amerikaner abgelehnt hatte, wurde sie furchtbar bombadiert. Erst am 20. Oktober 1944 ergab sie sich, nachdem es dort noch viele Opfer auf beiden Seiten gekostet hatte. Auf der Eulenburg wurde inzwischen das Namensfest unserer lieben Mutter Provinzialin im engsten Familienkreis gefeiert. Sie sollte ein wenig die Sorge um die fernen, bedrängten Schwestern vergessen.
Am 16. Oktober 1944 eröffneten wir auf der Eulenburg, oder besser im kleinen Pfortenhäuschen zu Füßen der Burg, ein "Schülchen". Mit Erlaubnis der Behörde unterrichteten unsere Schwestern dort die Dorfjugend, die auf den Straßen herumlungerte. Es wurden auch englische und französische Sprachkurse gegeben. Schon bald mussten wir das Schulhaus vergrößern, die Zahl der Kinder stieg immer mehr.
Für uns Deutsche wurden aber bald die Zustände unerträglich. Überall wurde Befreiung gefeiert, Festgottesdienste abgehalten. Die Kirchen prangten nur noch im belgischen Fahnenschmuck und leider waren auch darin wenig Friedens- und Versöhnungsgedanken zu hören. Die sogenannte 'Armée Blanche' trat ganz rabiat auf, wollte alle Deutschen verhaften, beschlagte vom Gut der Deutschen, was ihnen gefiel und ähnliches mehr. Zum Glück aber griffen die Amerikaner ein. Hausdurchsuchungen wurden immer noch bei den Deutschen vorgenommen, auch mehrmals auf der Eulenburg. Einmal gab die 'Armée Blanche' sogar Schüsse auf einen bei uns zu Gast weilenden Herrn ab, die aber Gott sei Dank kein Unheil anrichteten.
Ende Oktober verliess uns ein Teil der Franziskanerinnen. Sie zogen wieder heim und unserer Vorgesetzten versuchten nach Burtscheid zu gelangen. Mutter Clara Chantal machte sich mit einer Schwester auf den Weg. Sie sahen überall nur Verwüstungen, aufgerissene Felder und Wege und ganz selten einen Menschen. In Burtscheid war niemand. Das Vorfinden gebrauchter Hüllen, Habite und ein gedeckter Kaffetisch ließen darauf schließen, dass die Schwestern das Haus schnell verlassen haben. Die Ungewissheit über ihren Verbleib war uns allen schwer.
Um das noch vorhandene in Burtscheid zu erhalten, war es nötig, Schwestern dorthin zu schicken, denn es wurde viel gestohlen. Am 6. November zogen also 4 Schwestern aus der Eulenburg aus, um im Mutterhaus Aufräumarbeiten zu beginnen. Mutter Provinzialin und Mutter Clara Chantal erhielten nun bald einen Pass, um wöchentlich einmal nach Aachen zu gehen.
Am 3. November 1944, richteten wir auch eine Nähschule für Schulentlassene junge Mädchen ein. Sie wurde gut besucht und später schloss sich ein Zuschneidekurs an. An einem Sonntag vor Weihnachten konnte schon eine feine, gediegene Handarbeitsausstellung ausgelegt werden.
Große Not verursachte uns um die Weihnachtszeit die Ardennenoffensive. Die Front rückte uns wieder täglich näher und wir fürchteten ernstlich, nochmal ins Schlachtfeld zu geraten. Gott sei Dank geschah es aber nicht.
Seit der Befreiung Belgiens durch die Amerikaner, gab es nun keinerlei Zuteilung mehr, ein halbes Jahr lang, und wir waren genötigt, uns etwas zu erhamstern. Zu zwei und zwei zogen an manchen Tagen die Schwestern mit einem Wägelchen von Hof zu Hof über sumpfige Wiesen und aufgeweichte Straßen und brachten viele gute Gaben heim. Aber auch die amerikanische Küche half uns zeitweise, legte für die " sisters " alles zurück, was sie erübrigen konnten. Dreimal am Tag gingen zwei Schwestern mit Eimern dort Lebensmittel und Reste für das Vieh holen.
In den ersten Monaten des Jahres 1945 versetzten uns die Fliegenden Bomben in manchen großen Schrecken. Lüttich war ihr Ziel und wir lagen in der Zielrichtung. In kurzen Abständen raste das unheimliche Ding mit einem feurigen Schweif und einem ungeheuren Getöse gerade über uns hinweg. Die ganze Burg erbebte, die Scheiben klirrten. Wiederholt kamen sie ganz in unserer Nähe zum Absturz und richteten viel Unheil an. An der Art ihres Rollens erkannten wir genau, ob sie sich noch lange in der Luft halten konnten. Setzte der Motor aber aus, dann war es sicher, dass sie in einigen Sekunden explodierte. Das waren dann wirkliche Sekunden der Todesnot. Ganz gleich wo man war, ob in der Kapelle während der heiligen Wandlung oder Andacht oder während des Essens oder Schulunterrichts, man warf sich auf den Boden und erwartete zerschmettert zu werden.
Viele dieser fliegenden Bomben, auch V1 et V2 genannt, sind auf Lüttich niedergegangen.
Nachdem wir bis jetzt noch keine amerikanische Einquartierung hatten, baten Ende Februar 1945 27 Mann von der Front kommend, bei uns sich erholen zu dürfen. Das Refektorium und einige Zimmer wurden geräumt. Darin lagen sie auf Matratzen und schliefen sich aus, dass ihr Schnarchen die Betrachtung der Schwestern und die heilige Messe in der angrenzenden Kapelle begleitete.
Zu Ostern 1945 war für Moresnet der Neubeginn der Dorf-Schule festgelegt und somit sah unser Schülchen, das sich in dem halben Jahr zu einer gut besuchten Schule entwickelt hatte, seinem Ende entgegen. Die Kinder und ihre Eltern waren sehr betrübt und auch wir bedauerten es sehr. Zudem war es auch unser Lebensunterhalt gewesen. Jetzt waren wir ganz auf die noch laufenden Sprach- Näh- und Zuschneidekurse angewiesen. Mit dieser Einnahme und mancher Gabe wohlgesinnter Wohltäter haben wir uns denn auch redlich geschlagen.
Mittlerweile waren Mutter Provinzialin und Mutter Clara Chantal wieder nach Burtscheid übersiedelt und erschienen ab und zu bei uns zu Besuch. Das waren dann rechte Freudentage. Mutter Provinzialin, die immer große Sorge hatte, es könnte uns etwas fehlen, brachte jedesmal gute Gaben mit und einmal sogar ein großes Stück Speck. Mitte April machte die gesamte Eulenburg, ausgenommen die Mutter und 3 Schwestern, Exerzitien, die unser H.H. Pastor hielt. Das waren so rechte Gnadentage, die schön hineinpassten in das wunderbare Knospen und Schwellen der sonnigen Frühlingstage.
Anfang Juni war in Moresnet nach vielen Jahren wieder Fronleichnamprozession, auf die sich alles freute. Wir durften unterhalb der Burg einen Segensalter errichten. Tagelang arbeiteten wir mit den Kindern an der Vorbereitung. Ungezählte Eimer und Vasen mit Wiesen- und Gartenblumen wurden gefüllt, Kränze gewunden und Wimpel geklebt. Die Franziskaner liehen uns 80 Fahnen und Fähnchen, so das jedes Fenster und Türmchen der Burg beflagt war. Der Glanzpunkt war natürlich der Sakramentsaltar, über dem ein großes Laacher Kreuz im Torbogen hing.
Bald sollte aber unsere stille, echt klösterliche Zeit auf der Eulenburg ein Ende nehmen.
Alle, nach 1940 in Belgien eingezogenen Deutschen, sollten bis zum 30. Juli ausgewiesen werden. Küche und Schlafzimmer durfte man mitnehmen, alles andere wurde vom Sequesteramt beschlagnahmt.
Der Eulenburger Konvent sollte nach Schleiden verlegt werden, aber nun galt es, den Himmel zu bestürmen, um alles mit über die Grenze zu bekommen. Die Liste aller Güter musste in Lüttich eingereicht werden, mussten dann aber über Brüssel laufen und das bedeutete für uns eine lange, lange Wartezeit.
Am 3. Mittwoch nach der Antragstellung erhielten wir vom Sequesteramt die Genehmigung alles mit über die Grenze zu nehmen, sogar unsere Schäfchen und Hühner. Es war bisher noch keiner auch noch so armen deutschen Familie erlaubt worden deshalb wünschte man, dass es geheim gehalten werde.
Der Transport musste organisiert werden, eine Firma aus Eupen wollte ihn übernehmen. Ein neues großes Geldanliegen, welche Unkosten ! Ein Transport 8000 frs, und wir müssen fünfmal einen 9 Tonnenwagen haben. Aber auch hier half uns göttliche Vorsehung : einige Amerikaner kauften uns für 5000 Frs Handarbeiten ab und Mutter Provinzialin schickte uns Decken und Material, die wir für einige Tausend Franken verkaufen konnten.
Am Sonntag, den 5. August 1945, hielten wir die Zeit für gekommen zum Abschied von der Eulenburg Gott einen Dankestag zu schenken.